Korea Forum

Korea Forum, Jg. 29: Friedensstatue

Das neue KOREA FORUM Jahrgang 29 ist da! Wie der Titel Friedensstatue: Stimmen des Widerstands schon verrät, werden in dieser Ausgabe die Geschichte und die Hintergründe der Friedensstatue behandelt und verschiedene Bewegungen und Formen des feministischen und dekolonialen Widerstands besprochen.

Im ersten Kapitel Gegen das Vergessen wird die Geschichte der sogenannten „Trostfrauen“ erzählt – sowohl ihre Erlebnisse in einem entmenschlichenden System, als auch ihr Mut und Widerstand, für den die Friedensstatue ein Symbol ist. Das zweite Kapitel trägt den Namen Patriarchale und koloniale Gewalt aufdecken. In einem Interview, einer Rezension und einem Artikel werden die Verstrickungen von verschiedenen Kolonialismen und Imperialismen und dem Patriarchat aufgezeigt. Im dritten Kapitel Widerständige Utopien stehen aktivistische Engagement im Mittelpunkt. Hier kommen in Interviews und Artikeln unter anderem das Künstler*innenpaar hinter der Friedensstatue zu Wort sowie aktivistische Personen, Initiativen und Vereine, die für widerständige Erinnerungen in der Gesellschaft kämpfen. Im letzten Teil des Heftes sind ausführliche Hintergrundinformationen zur Geschichte der „Trostfrauen“ und der Friedensstatue zu finden.

Das Heft kann im Shop des Korea Verbands für 15 Euro zzgl. Versandkosten bestellt werden.

Editorial

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Friedensstatue – Stimmen des Widerstands

Ein bronzefarbenes Mädchen mit kinnlangen Haaren sitzt von Tag zu Tag inmitten eines belebten Wohnviertels in Berlin. Die Menschen legen ihr Blumen in den Schoß, setzen sich auf den leeren Stuhl neben ihr oder berühren ihre Hände. An kalten Tagen ziehen sie ihr eine Mütze über den Kopf.

Als die AG „Trostfrauen“ im Korea Verband zusammen mit dem Korean Council for Justice and Remembrance for the Issues of Military Sexual Slavery of Women of Militray by Japan im September 2020 die Friedensstatue in Berlin-Moabit aufstellte, hatten sie nicht erwartet, dass die Anwohnerinnen sie so warmherzig aufnehmen würden. Inzwischen sagen sie von der Statue, die Ari getauft ist, sie sei Moabiterin, sie dürfe nicht mehr weg. Der Name bedeutet auf Armenisch „die Mutige“. Das Denkmal, das an die Betroffenen erinnert, die im Asien-Pazifik-Krieg (1931-1945) Opfer von sexueller Sklaverei durch das japanische Militär waren, ist bislang nur eine vorübergehende Leihgabe. Trotz einer im November 2022 beschlossenen Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung von zwei weiteren Jahren ist nach wie vor unklar, ob die Statue dauerhaft im Stadtteil stehen bleiben darf.

An einer unschuldig anmutenden Statue eines jungen Mädchens entfacht sich damit ein diplomatischer Konflikt, der auf ungeahnte Weise internationale Größenordnung annimmt. Die Bezirksregierung Berlin-Mitte konnte sich bislang nicht auf eine dauerhafte Genehmigung der Friedensstatue einigen — denn die japanische Regierung sieht dies nur ungern. Angesichts dieser ungeklärten Lage, die scheinbar bis ins weit entfernte Asien reicht, stellt sich die Frage: Was hat diese Statue, die ein Symbol gegen sexualisierte Gewalt in Kriegen und ein Symbol des postkolonialen Widerstands in Südkorea darstellt, eigentlich mit uns in Deutschland zu tun?

Seit der Aufstellung der allerersten Friedensstatue in Seoul im Jahr 2011 ist eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung um das Denkmal gewachsen. Überlebende des „Trostfrauen“-Systems kämpfen Seite an Seite mit Aktivist*innen für die Anerkennung ihrer Geschichte und für die Durchsetzung ihrer Rechte. Doch bei diesem Kampf geht es nicht um einen Angriff auf die japanische Regierung wie manche Seiten behaupten. Den Friedensaktivist*innen geht es um eine größere Sache: Sie stellen eine feministische und antikoloniale Widerstandsbewegung dar, die globale Ausmaße hat. Denn tatsächlich hat die Friedensstatue erweiterte Bedeutung gewonnen seit sie außerhalb Koreas aufgestellt wurde.

Was für Bedeutungen sich hinter dieser Bewegung verbergen, das will die vorliegende Ausgabe des KOREA FORUMS mit dem Schwerpunktthema „Friedensstatue – Stimmen des Widerstands“ behandeln. In drei Kapiteln mit unterschiedlichen Gewichtungen setzen wir uns in kritischer Weise mit Themen und Fragestellungen auseinander, die sich im Zuge des Aktivismus um die Friedensstatue herum bilden.

Wie die Friedensstatue feministische und postmigrantische Kämpfe vereint

Das erste Kapitel „Gegen das Vergessen“ blickt aus einer transnationalen Sicht auf die Geschichte der „Trostfrauen“ und schaut zugleich auf ihre Auswirkung bis in die Gegenwart. Aus den Beiträgen geht hervor, dass die Geschichte der „Trostfrauen“ als ein einzigartiges Beispiel für institutionalisierte sexuelle Sklaverei gedacht werden muss und sexuelle Kriegsgewalt als ein globales Phänomen zu begreifen ist. Deutschland war von dieser Form von Gewalt nicht nur als Täter-, sondern auch als Opfernation betroffen. Im Fall Japans war die systematisch angelegte Gewalt in Form der „Trostfrauen-Stationen“ nicht nur als militärische Strategie ausgelegt, sondern sollte sogar ökonomischen Profit erzielen. Es wird aufgezeigt, wie sich auf globaler Ebene feministischer Widerstand gegen patriarchale Unterdrückungsstrukturen formierte und inwiefern die „Trostfrauen“-Bewegung daran mitwirkte. Deutlich wird, dass es zivilgesellschaftliches Engagement braucht, um gegen das Vergessen von marginalisierten Perspektiven vorzugehen. Die mit der Geschichte verbundenen Kämpfe wirken im Hier und Jetzt weiter.

Im zweiten Kapitel „Patriarchale und koloniale Gewalt aufdecken“ geht es darum, patriarchale und koloniale Machstrukturen zu demaskieren und offenzulegen. Dazu blicken wir auf die Verbindungslinien, die es zwischen japanischem Kolonialismus und westlichen imperialen und kolonialen Ideologien gibt, welche Sonderrolle Japan für den Westen historisch hatte und bis heute noch hat. Wohin diese Verbindungen führen, ist auch daran erkennbar wie die Friedensstatue ursprünglich entstanden ist: Sie ist geboren aus Widerstand gegen Gewalt im Krieg. Gleichbedeutend mit Krieg sind Kolonialismus, Imperialismus, Patriarchat und Militarismus. Anhand der ausgewählten Beiträge wird deutlich, dass dekolonialer und feministischer Widerstand auch Entmilitarisierung verstärkt mitdenken muss – und das nicht nur im Kontext des japanischen Kolonialismus, sondern auch im westlichen Kolonialismus und Imperialismus. Darüber hinaus zeigt sich, inwiefern heteronormative Männlichkeit und patriarchale Gewalt als ein Kernproblem dieser Machtstrukturen zu denken sind. Dies legt nahe, dass die Anerkennung der Friedensstatue eine Forderung zur Befreiung von Krieg ist. Nicht nur das: Ihre Anerkennung bedeutet auch die fundamentale Anerkennung des weiblichen Körpers als Weg zu Frieden.

Der Schwerpunkt des dritten Kapitels „Solidarische Utopien“ liegt darin, eurozentrische Perspektiven auf den Kolonialismus aufzulösen. Unsere Narrative sind geprägt von eurozentrischer und patriarchaler Wissensproduktion: Gerade die Geschichte der „Trostfrauen“ wird in Deutschland für gewöhnlich nicht als „unser Verbrechen“ betrachtet. Auch das Bewusstsein für den japanischen Kolonialismus ist im Westen in der Regel nicht vorhanden. Die Beiträge zeigen, wie wir postkoloniale Widerstände delokalisieren, unterschiedliche Rassismen und Nationalismen dekolonisieren und hegemoniale Narrative durch neue Erzählweisen ersetzen können. Dies wird bestärkt durch Perspektiven und Stimmen aus der postmigrantischen Gesellschaft in Deutschland. Die transnationale Solidarität mit der Friedensstatue sehen wir dabei als ein verkörpertes Moment dafür, wie globalgeschichtliche und community-übergreifende Solidarität geübt werden kann. Dadurch löst sich die Vorstellung auf, dass dekoloniale Kontexte „zu weit entfernt“ seien. Hybridisiertes Erinnern wird so zu einer widerständigen Praxis von marginalisierten Communities und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. Wenn die mitgebrachten Erinnerungen der Migrant*innen zur deutschen Geschichte werden, können wir endlich von einer postmigrantischen Gesellschaft sprechen.

Insgesamt zeigt sich, dass die „Trostfrauen“-Geschichte transnational umformiert werden muss. Vergewaltigung an FLINTA* im Krieg ist ein Verbrechen, das für gewöhnlich nationalisiert wird. Diese Art von Denken muss gerade in Europa überwunden werden und das Verbrechen universell gedacht werden. In den USA wird die Geschichte der „Trostfrauen“ bereits anders besprochen als in Europa: Nämlich durch Nachfolgegenerationen von Einwander*innen in Wissenschaft, Politik und in der zivilen Gesellschaft, die postkoloniale und intersektionale Perspektiven mitbringen.

In Europa dagegen ist der Blick durch eine zutiefst eurozentrische Sichtweise geprägt. Denn da, wo Wissen produziert wird, überwiegen nach wie vor männliche und weiße Perspektiven. Intersektionale und postkoloniale Perspektiven brechen mit diesen Erzählweisen und ersetzen sie durch ihre eigenen Narrative für Gerechtigkeit und Frieden.

Nataly Jung-Hwa Han & Thuy An Nguyen