Das neu erschienene Korea Forum Jg. 28 fokussiert auf die vielfältigen Implikationen des Begriffes Feminism Reboot. Wir werden von der feministischen Welle erfasst und von der Wucht der Schmerzen und dem unnachgiebigen Kampf der Koreaner*innen mitgerissen.
Im ersten Kapitel Chronik Feminism Reboot: Von 2016 bis heute in Südkorea werden acht wichtige Ereignisse, die in den letzten Jahren als Katalysator für die neue feministische Bewegung dienten, betrachtet. Im zweiten Kapitel Feminismus und jenseits des Feminismus folgen dann fünf Interviews zu Themen wie Identitätspolitik, soziale Normen, Behinderung, Digitalisierung, queere Bewegung, Rassismus, Wehrdienstverweigerung und Männlichkeit. Das letzte Kapitel Gender und Nordkorea in Bewegung besteht aus sieben Beiträgen, in denen der Blickwinkel auf die gesamte koreanische Halbinsel ausgeweitet wird. Nordkorea hat ebenso wie Südkorea eine lange konfuzianische Tradition, in der sich Genderrollen und Familienstruktur noch nach den alten patriarchalen Sitten richten.
Mit dieser Ausgabe begeben wir uns auch in eine neue Ära des Korea Forums. Künftig werden wir uns mit jedem Heft vertieft einzelnen Themenbereichen widmen. Somit wird jede Ausgabe zu einer Art Nachschlagewerk. Dieser inhaltliche Neustart wird ergänzt durch eine komplette Neugestaltung unseres Hefts.
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Editorial
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Das Konzept des modernen Feminismus in Europa ist im 17. Jahrhundert im Zuge der bürgerlichen Emanzipationsbewegung zur Menschenwürde entstanden. In der ersten Welle ab dem 19. Jahrhundert forderten Frauenrechtler*innen ein allgemeines Frauenwahlrecht, das Recht auf Erwerbstätigkeit und Bildung für Frauen. In der zweiten Welle ab dem 20. Jahrhundert liefen Feminist*innen in den Industrieländern zusammen mit anderen sozialen Bewegungen und konzentrierten sich auf Themen wie sexuelle Diskriminierung und Gewalt, Souveränität über den eigenen Körper und Autonomie der Frauenbewegung. Allerdings wurden die auf weiße bürgerliche Frauen zentrierten Diskurse von Menschen mitanderen Hautfarben, aus dem Globalen Süden und von trans Menschen kritisiert. Die daraus entstandene dritte Welle des Feminismus identifiziert sich größtenteils mit Intersektionalität, die die mehrfachen Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus aus der Sicht der Verflechtung der Unterdrückungen im globalen Kontext betrachtet. Basierend auf diesen Entwicklungen der letzten 300 Jahre, hat sich seit etwa zehn Jahren die sogenannte vierte Welle des Feminismus entfaltet: Das Themenspektrum dieser neuen Strömung tendiert in eine ähnliche Richtung wie die dritte Welle, aber hinsichtlich Raum und Kommunikation steht das Internet stark im Mittelpunkt. In unserer digital hybridisierten Welt wird Technologie nicht nur als bloßes Medium, sondern als kognitive, inhaltliche und strategische Funktion den neuen Aktivismus mitgestalten – sowie das Phänomen Feminism Reboot in Südkorea.
In den letzten Jahren hat sich die feministische Bewegung in Südkorea rasant erneuert, wodurch sich allmählich, wie durch einen Schneeballeffekt, die Gesellschaft verändert hat. Die sogenannten »Net Femi« (Feminist*innen im Internet) haben seit 2015 ihre Erfahrungen mit Geschlechterdiskriminierung im privaten und beruflichen Leben aktiv thematisiert. Als Reaktion auf ihre direkten Aktionen, in der ihr Hass gegenüber Männern oftmals zum Ausdruck kam, entwickelte sich ein antifeministischer Backlash. Nichtsdestotrotz haben die »Net Femi« eine Online-Bewegung geschaffen, in der zahlreiche junge Frauen einen nicht-akademischen Feminismus gelernt und praktiziert haben, was auf die Landschaft aller sozialen Diskurse einen enormen Einfluss hatte. Aufgrund dieser gemeinsamen Online-Erfahrungen konnten sich Frauen für weitere Offline-Aktivitäten schneller und effektiver mobilisieren, wie z.B. bei den Themen Femizid (2016), #MeToo-Bewegung (2018), Spycams (2018), Abtreibungsgesetz (2019) und sexuelle Ausbeutung mittels digitaler Plattformen (2020). Dies zeigt eine bemerkenswerte Entwicklung, nämlich eine Kombination zweier Charakteristika: Die digitale Welt auf der einen Seite, in der Hashtag-Feminism und Slacktivism herrschen, und auf der anderen Seite die uralte Problematik wie die der Souveränität über den eigenen Körper und Frauenfeindlichkeit, die seit der zweiten Welle des Feminismus behandelt wurden.
Der Begriff Feminism Reboot versucht, dieses Phänomen zu erklären, und wurde ursprünglich von der südkoreanischen Kulturkritikerin Sohn Hee-Jung definiert. In der Filmsprache wird das englische Wort Reboot für die neue Kreation eines fiktionalen Werks, basierend auf den grundsätzlichen Merkmalen eines Vorgängerwerks aber ohne die Kontinuität der Handlung zu erhalten, genutzt. Sohn verwendete das Wort Reboot für ihre Analyse zur neuen feministischen Bewegung in Südkorea aus folgenden Gründen: Der neue Feminismus hatte im Vergleich zur feministischen Bewegung der letzten 100 Jahre auf der koreanischen Halbinsel zwar ein sehr anderes Gesicht, allerdings stand er – wie Reboot in der Filmsprache – noch in der historischen Fortsetzung früherer Bewegungen. Sein neues Gesicht zeigte sich dadurch, dass dieser neue Feminismus im Grunde aus dem neoliberalen System hervorgegangen war und – anders als der alte südkoreanische Feminismus – die neoliberalen und egozentrischen Normen wie Selbstmanagement verkörpert hatte. Zudem sei nach Ansicht von Sohn die Eigenschaft dieser »Net Femi«, dass sie sich als äußerst »schlaue Konsument*innen« mit der ihr vorprogrammierten Wettbewerbswelt identifizierten, und deshalb beinhaltete dieser neu gestartete Feminismus ein riskantes Attribut wie den populistischen Feminismus. Diese Gefahr zeigte sich tatsächlich in den letzten Jahren in Form von aktiver Ausgrenzung gegenüber anderen Minderheiten, wie z.B. von jemenitischen Geflüchteten (2018) und trans Frauen (2020). Anfangs wurde der Begriff Feminism Reboot etwas kritisch eingesetzt, doch das Phänomen Feminism Reboot hat sich vielseitig entwickelt – Urheberin Sohn meinte dazu, dass dieses Wort nun seine eigene Lebenskraft in der Welt habe.
Wir verfassen den 28. Jahrgang des Korea Forums mit Blick auf die Historizität von Sprache, anders formuliert mit Blick auf die vielfältigen Implikationen des Begriffes Feminism Reboot. Im ersten Kapitel Chronik Feminism Reboot: Von 2016 bis heute in Südkorea betrachten wir acht wichtige Ereignisse, die in den letzten Jahren als Katalysator für die neue feministische Bewegung dienten. In den chronologisch aufgeführten Artikeln zeigt sich der dynamische Entwicklungsverlauf der südkoreanischen feministischen Diskurse. Im zweiten Kapitel Feminismus und jenseits des Feminismus präsentieren wir fünf Interviews zu Themen wie Identitätspolitik, soziale Normen, Behinderung, Digitalisierung, queere Bewegung, Rassismus, Wehrdienstverweigerung und Männlichkeit. Durch die Stimmen unserer Interviewpartner*innen ergänzen wir einige im ersten Kapitel vernachlässigte Strömungen der dritten Welle des Feminismus: Intersektionalität, Queerfeminismus und feministische Friedenspolitik. Das letzte Kapitel Gender und Nordkorea in Bewegung besteht aus sieben Beiträgen, in denen wir unseren Blickwinkel auf die gesamte koreanische Halbinsel ausweiten. Nordkorea hat ebenso wie Südkorea eine lange konfuzianische Tradition, in der sich Genderrollen und Familienstruktur noch nach den alten patriarchalen Sitten richten. Unser Fokus hierbei liegt vor allem auf zwei Schwerpunkten, nämlich der materiellen Lebensrealität der Frauen aus Nordkorea und dem physischen und psychischen Konzept der Migration hinsichtlich der Teilung beider Koreas. Mit diesem neuen Format des Korea Forums wünschen wir uns, dass das Schwerpunktthema der jeweiligen Ausgabe vielfältig dargestellt werden kann, um mit diesem Forum einen gemeinsamen Raum für kritische Resonanzen zu schaffen.
Choo Young-Rong und Lee Aram