Auf der Tagung zum Thema „Erkämpfte, gefährdete, gelebte Demokratie!? – Die Zukunft einer demokratischen Zivilgesellschaft in Korea“ gaben die beteiligten Organisationen einen Offenen Brief heraus, der an den Außenminister und den Botschafter Südkoreas versendet wurde. Ebenso ging er den Mitgliedern der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe zu.
Den Offenen Brief finden Sie im Orginallaut unten angehängt.
Sehr geehrter Herr Botschafter der Republik Korea,
sehr geehrter Herr Außenminister der Bundesrepublik Deutschland,
wir, die 50 Mitwirkenden und Teilnehmenden einer Tagung zum Thema: „Erkämpfte, gefährdete, gelebte Demokratie!? – Die Zukunft einer demokratischen Zivilgesellschaft in Korea“, die vom 7. – 9. 4. 2015 von der Evangelischen Akademie Thüringen in Kooperation mit der Evangelische Mission in Solidarität (EMS), Stuttgart, und dem Korea-Verband e.V. veranstaltet und von der Deutschen Ostasienmission (DOAM), dem Berliner Missionswerk (BMW) und von Amnesty International unterstützt wurde, wenden uns mit diesem offenen Brief an Sie.
Erkämpfte Demokratie
Wir haben auf unserer Tagung den Weg Südkoreas von einer Diktatur zu einer Demokratie nachvollzogen. Wir haben dazu Zeitzeugen befragt und sind zu der Überzeugung gelangt, dass das, was sich in Südkorea ab den 70er Jahren ereignet hat, zu den großen Hoffnungsgeschichten des vergangenen Jahrhunderts zählt. Es waren zivilgesellschaftliche Gruppen, zu denen auch die Kirchen gehören, die durch ihr Engagement diese positive Transformation der Gesellschaft erkämpft und erlitten haben.
Gefährdete Demokratie
Wir haben uns auch mit der gegenwärtigen Situation in Südkorea befasst und geben unserer tiefen Sorge Ausdruck über:
- Einschüchterungsversuche gegenüber kritischen Medienschaffenden, sowohl in Zeitschriften, in der Kunst und auch den sozialen Medien, über die Informationen verbreitet werden.
- die Einschränkungen von Rechten der arbeitenden Bevölkerung und der Gewerkschaften.
- die vermehrte Anwendung des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das immer wieder in der Vergangenheit dazu diente, unliebsame Andersdenkende mundtot zu machen. Insbesondere sind wir besorgt über das Verbot der UPP und die Verurteilung von führenden Vertretern dieser Partei.
- die Tatsache, dass es immer noch nicht gelungen ist, denjenigen, die aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe verweigern, eine adäquate Alternative anzubieten. In keinem Land der Welt sind mehr Menschen wegen der Verweigerung des Kriegsdienstes in Haft als in Südkorea.
- Berichte über die massive Einflussnahme des Geheimdienstes in sozialen Medien auf die vergangenen Präsidentschaftswahlen.
- ein gesellschaftliches Klima, in dem sich wieder einmal Sorge, Angst und Unsicherheit breit machen (ein deutliches Zeichen hierfür ist die Weigerung der Spedition, die Werke des Künstlers HONG Song Dam nach Deutschland zu liefern).
In alldem befürchten wir einen Rückfall in Zeiten des Kalten Krieges, in denen im Namen der Nationalen Sicherheit auch Menschenrechte in ihrer Gültigkeit eingeschränkt wurden.
Gelebte Demokratie
Dennoch sind wir zutiefst überzeugt davon, dass die weitere demokratische Entwicklung Südkoreas unaufhaltsam ist. Die Erinnerung an das, was in der Vergangenheit erreicht wurde, ist in weiten Teilen der Gesellschaft ganz lebendig. Es gibt eine aktive Zivilgesellschaft. Eine Einschränkung von Demokratie, Meinungsfreiheit und Mitbestimmungsrechten wird das koreanische Volk auf Dauer nicht hinnehmen.
Wir wollen insbesondere darauf hinweisen, dass es zur weiteren Entwicklung der demokratischen Kultur wichtig ist, zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedliche Meinungen haben. Diejenigen, die eine andere Meinung haben, sind zwar politische Gegner, aber nicht per se Feinde.
Die Anerkennung von Diversität und Meinungsvielfalt scheint uns gerade auch im Blick auf das eines Tages wiedervereinigte Korea von herausragender Bedeutung zu sein. Wir fragen uns, wie die koreanische Gesellschaft die Herkulesaufgabe des Zusammenwachsens mit der Bevölkerung Nordkoreas erreichen will und kann, wenn sie nicht bereit ist, sich jetzt und heute mit Menschen auseinanderzusetzen, die eine andere Meinung vertreten als die Mehrheitsgesellschaft.
Für uns sind Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und der offene Diskurs darüber ein ganz zentrales Element einer demokratischen Kultur. Es macht gleichsam die Identität Evangelischer Akademien aus, solche Dialoge zu ermöglichen. Von daher haben wir alle sehr bedauert, dass die Botschaft der Republik Korea und Vertretende des Auswärtigen Amtes unserer Einladung, ihre Stimme in diese Tagung einzubringen, nicht angenommen haben. Wir sind weiter am Gespräch mit Ihnen über diese wichtigen Fragen interessiert.
Gemeinsam mit Ihnen hoffen wir auf eine weitere gute demokratische Entwicklung in Südkorea und auf eine friedliche Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel.
Für die Teilnehmenden dieser Tagung:
Evangelische Akademie Thüringen
Prof. Dr. Michael Haspel, Direktor
Evangelische Mission in Solidarität (EMS), Stuttgart
Lutz Drescher, Verbindungsreferent Indien und Ostasien
Deutsche Ostasienmission (DOAM)
Pfr. Hartmut Albruschat, Vorsitzender
Berliner Missionswerk (BMW)
Pfr. Dr. Christof Theilemann, Ostasienreferent
Korea Verband e.V.
Jung-Hwa Nataly Han, Vorstandsvorsitzende
Amnesty International, Koordinationsgruppe für die beiden Koreas
Dr. Hans Buchner
Dieser Brief wurde den Teilnehmenden der Tagung vorgelegt und mit ihnen diskutiert. Die Tagungsteilnehmenden haben sich einmütig für die Versendung dieses Briefes ausgesprochen.
Bild: Sewol Owol von Hong Song-dam, 2014 in ursprünglicher und geänderter Fassung