Kommentar

Die aktuelle Konstellation auf der koreanischen Halbinsel nach Raketenabschuss

Es ist neun Jahre her, das der damalige südkoreanische Präsident KIM Dae-Jung das Zeitalter der kalten Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea beendet und mit seiner 6.15-Erklärung eine Zeit der Versöhnung und politischen und wirtschaftlichen Kooperation – die so genannte „Sonnenscheinpolitik“ – eingeläutet hat. Mit dem Amtsantritt des jetzigen Präsidenten LEE Myung-Bak, der diese Nordkoreapolitik nicht anerkennt und sie nicht fortführt, hat sich das Verhältnis zwischen Nord- und Südkorea wieder verschlechtert. Dies zeigen die aktuellen Vorfälle, wie z. B. der Abschuss der Rakete „Kwangmyungsung No. 2.“ und die Absperrung des Kaesong-Industrie-Komplexes, die Reise von Südkoreanern in das Kumgang-Gebirge und die Zwangsinhaftierung von US-amerikanischen Journalistinnen und eines südkoreanischen Angestellten des Konzerns Hyundai-Asan in Nordkorea.

Mit dem Amtsantritt Barak Obamas verbinden viele hoffnungsvolle und positive Spekulationen über die Beziehung zwischen den USA und Nordkorea. (Nord)Korea-Speziallisten im Ausland mahnen hierbei jedoch zur Vorsicht, wofür sie mehrere Gründe anführen: Zunächst einmal zweifeln sie daran, dass die Obama-Regierung so sehr anders sein wird als die vorherige. Da die meisten Amtsposten immer noch Republikaner innehaben, werden Obamas Reformen auf vielfachen Widerstand stoßen. Zum anderen stehen die Korea-Problematik bzw. die Verhandlung mit Nordkorea nicht an erster Stelle für die US-amerikanische Außenpolitik.

Professor Bruce Commings von der Chicago Universität hat am Anfang dieses Jahres (17. Januar 2009) einen Vortrag über die zukünftige Haltung der USA in der Beziehung zu Nordkorea – Titel: „Obama und Byden, erinnert Euch an Oktober 2000″ – in Los Angeles im Rahmen einer von der KANCC (Korean American National Coordinating Council) organisierte Vortragsreihe zur aktuellen koreanischen Politik gehalten. Hierbei hat er angedeutet, welche Bedeutung Bill Clintons und Al Gores Nordkorea-Politik und KIM Dae-Jungs „Sonnenscheinpolitik“ beizumessen ist. Er plädierte an die Obama-Regierung, sich daran zu erinnern und an die Errungenschaften ihrer Vorgänger anzuknüpfen. Überhaupt müsse die USA, um den Frieden im asiatischen Raum wiederherzustellen, die Wiedervereinigung Koreas wahrhaftig wünschen und unterstützen, da keiner der Nachbarn – weder China noch Japan noch Russland – diese wirklich erhoffen. Die koreanische Wiedervereinigung könne letztendlich auch Vorteile in Hinsicht auf das Abkommen vom Jahr 2000 für die USA bringen.

Am 24. Februar 2009 hat Nordkorea bekannt gegeben, dass es bereit sei, den Satelliten „Eunha No.2“ in die Erdumlaufbahn zu bringen und alles für den Abschuss vorbereite. Diese Vorankündigung hat Nordkorea am Sonntag, dem 5. April in die Tat umgesetzt. Spekulationen zufolge verfolgt Nordkorea damit drei Ziele: Die Tatsache, dass dieser Raketenabschuss gleich nach dem Amtsantritt Obamas geschehen ist, lässt vermuten, dass Nordkorea einen möglichst schnellen Abschluss eines Staatsabkommens mit den USA forcieren möchte. Die Nordkorea-Problematik liegt für die USA in ihrer Dringlichkeit weit hinter dem Israel- und Palästina-Konflikt und der Iran-Problematik. Der Abschuss der Rakete dürfte geeignet sein, das Augenmerk der USA auf Nordkorea zu lenken. Letztendlich dürfte dieser Akt – nach Meinung einiger Experten in Südkorea – zur erhofften Normalisierung des Verhältnisses zwischen Nordkorea und den USA beitragen.

Das zweite Ziel, das Nordkorea mit dem Raketenabschuss verfolgt, dürfte die Stärkung des Selbstbewusstseins seines eigenen Volkes sein – Nordkorea wirbt damit um Sympathien innerhalb seiner Bevölkerung.

Und schließlich dürfte Nordkorea auf die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Nord- und Südkorea aufmerksam machen wollen. Dass die Vorankündigung des Raketenabschusses nur gegenüber China, Russland und den USA erfolgte, macht nach Meinung von Experten deutlich, dass Nordkorea mit diesem Akt sein Bedauern über die letzten Entwicklungen im Verhältnis zu Südkorea zeigen wollte.

Für die Rakete hat Nordkorea nach Schätzungen von Experten ca. 300.000 US Dollar, was den Nahrungskosten der nordkoreanischen Bevölkerung für ein ganzes Jahr entspricht, und für die gesamten Abschussvorbereitungen 200 bis 500 Millionen US Dollar ausgegeben. Man kann davon ausgehen, dass der Raketenabschuss nicht für den industriellen Vorteil (das Ziel des künstlichen Satelliten im Weltraum) erfolgte, sondern eher für die Akkumulation der Raketentechnik für militärische Zwecke.

Nordkorea hat für den Raketenabschuss von der NATO (Nord Atlantic Traety Organization) und der UNO (United Nations Organization) einen scharfen Verweis bekommen. Man konnte sich zunächst jedoch aufgrund von Einsprüchen Chinas und Russlands nicht auf weitere Zwangsmaßnahmen einigen, und am 14. April fasste der UNO Sicherheitsrat letztendlich den Beschluss zu einer kollektiven Maßnahme gegen Nordkorea. Südkorea plante kurz darauf an der PSL (Proliferation Security Initiative) Konferenz, die vom Ex US-Präsident Bush im Mai 2003 mit dem Ziel zur Unterbindung und Bekämpfung des Transports illegaler Massenvernichtungswaffen und deren Herstllungstechnik aufgerufen worden ist, teilzunehmen.

Die Konservativen in den USA warfen Obama vor, auf diesen Raketenabschuss nicht schnell genug mit Sanktionen reagiert zu haben. Gleichzeitig wurde jedoch die Meinung von amerikanischen Raketentechnikexperten verlautbart, wonach die nordkoreanische ICBM (Inter Continental Ballistic Missile)-Technik auf keinen Fall für die USA eine Gefahr bedeuten könne, da diese auf der von der ehemaligen UdSSR und China entwickelten Raketentechnik basiere, und seit 1998 bereits drei Versuche Nordkoreas, einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen, fehlgeschlagen seien. Obgleich dieser erneute Versuch missglückt ist, bedeutet dies nicht, dass Nordkorea in der Entwicklung eines Fernflugkörpers für Zwecke der Atomwaffennutzung auch versagt hätte, da dies gleiche Technik und Prinzip für den Abschuss der Atomwaffen benötigt.

Auf jeden Fall dürfte die Stimme Nordkoreas durch diese Aktion in dem zukünftigen Sechs-Parteien (Nord- und Südkorea, China, Japan, Russland und den USA) – Gespräch und im Verhältnis zu den USA und Südkorea etwas an Gewicht gewonnen haben.

Entgegen der politischen Strategie der USA, die als Basis für eine Normalisierung des Verhältnisses mit Nordkorea seinen Verzicht auf Atomwaffen voraussetzen, möchte Nordkorea erst dann sein Atomwaffenprogramm einstellen, wenn die USA ihre feindliche Politik gegenüber Nordkorea aufgeben. Auch kann man beobachten, dass die südkoreanische Regierung versucht die Wirtschaft- und Wiedervereinigungspolitik auseinander zu halten, obwohl die beiden Bereiche eng miteinander verwoben sind. Man sollte solche politischen Strategien als unterschiedliche Ausgangspunkte anerkennen, und mit diesem Basis überlegen und versuchen zu einem Resultat über den nordkoreanischen Raketenabschuss zu kommen und eine friedliche Kommunikation zu schaffen.

Südkorea läuft Gefahr, in dem koreanischen Wiedervereinigungsprozess isoliert oder Zuschauer zu werden, wenn es nicht die Art und Weise seiner Wiedervereinigungspolitik überdenkt. Sowohl Nord- als auch Südkoreaner müssen die Tatsache im Auge behalten, dass der Wechsel und die Entwicklung der politischen Situation beider koreanischer Staaten direkten Einfluss auf die Lage im gesamten ostasiatischen Raum haben. Voraussetzung für eine positive Wirtschaftsentwicklung in diesem Raum wird sein, dass sich der jetzige Präsident LEE Myung-Baks um ein gutes und vernünftiges Verhältnis zwischen Nord- und Südkorea bemüht.

Die USA müssen zunächst den Schritt machen, zu den anstehenden Verhandlungen mit Nordkorea eine hohenrangige Person zu schicken, die von den Nordkoreanern anerkannt wird und der sie vertrauen können, so plädierte Evens J.R. Revere, Präsident der Korea Society in einem Interview mit der südkoreanischen Zeitschrift Minjok 21, die sich Nordkorea, die Wiedervereinigung Koreas und das südkoreanischen Verhältnis zu Nordkorea zu ihrem Hauptthema macht. Hierzu sei es wichtig, statt hoffnungsvolle Erwartungen zu wecken, auf die Realität basierend sich passend einzustimmen und exakte Vorbereitungen zu treffen. Er sieht die Möglichkeit kooperativer Zusammenarbeit zwischen Südkorea und den USA, was wiederum zur Normalisierung des Verhältnisses sowohl zwischen Nordkorea und den USA als auch Nord- und Südkorea, beitragen könne, da die amerikanische und die südkoreanische Regierung ein erstaunlich gutes Verhältnis hätten – und dies angesichts bzw. trotz der Tatsache, dass in Südkorea die rechtskonservative LEE Myung-Bak-Regierung und in den USA die progressive demokratische Regierung Obamas entstanden seien.

In Südkorea wurde nach dem Abschuss der nordkoreanischen Rakete die Meinung geäußert, dass das Abkommen der Kontrolle der Atom- bzw. Massenvernichtungswaffen, das regelt, welcher Staat Raketen abschießen und Satelliten haben darf und welcher nicht, eigentlich aus der Theorie des alten Imperialismus stamme. Aus diesem Grunde könne dieses Abkommen der UN nicht als Druckmittel und als Verbot gegenüber Nordkorea angewendet werden. Neben den USA und England haben sogar Indien, Pakistan und Israel Atomwaffen. Warum dies Nordkorea verwehrt sein soll, wurde in den südkoreanischen Medien wiederholt diskutiert. Hierbei müssen Koreaner sich auch fragen, was das eigentliche Ziel der USA in den Verhandlungen mit Nordkorea ist – die Verhinderung der Entwicklung eines Fernlenkgeschosses in Nordkorea und des Atomwaffenbesitzes Nordkoreas zum Zwecke der eigenen militärischen Sicherheit oder ist das Ziel, zumindest auch Frieden und Stabilität auf der koreanischen Halbinsel und in Nordostasien und auch die Verbesserung der Menschenrechtssituation und der Demokratie für das nordkoreanische Volk.

Song-Hak SONG-Schreff ist freie Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des Korea-Verbandes e.V. und Doktorandin der Universität Bochum.