Madang
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15. Korea Madang: Demokratisierungsprozess in Südkorea; Demokratie oder Diktatur

Unser neu gestalteter Madang in Form einer offenen Diskussionsrunde findet nun erstmalig am kommenden Donnerstag, den 26. Februar 2009 um 19 Uhr
in der Geschäftsstelle des Korea-Verbands e.V.
(Rostocker Str. 33, 10553 Berlin, Nähe S-Bahnhof Beusselstr.) statt.

An diesem Madang werden wir nicht nur ein thematisch in einen Austausch gehen, sondern auch einige organisatorische Sachen gemeinsam klären, so z.B. die Auswahl von interessanten Themen und möglicher Referenten für die nächsten Monate, sowie die Frage nach der Leitung der Diskussionsrunden usw.

An diesem ersten Korea Madang 2009 steht das Thema „Demokratisierung in Süd-Korea“ zur Diskussion. David Neubauer, Student der Sinologie und Korea-Studien an der FU Berlin, wird einen kurzen einleitenden Vortrag über das Thema halten. Dabei wird er zunächst den Werdegang der südkoreanischen Demokratisierung chronologisch aufzeigen, um dann als Schwerpunkt seiner Darstellung den gegenwärtigen Stand der Demokratie unter der Regierung LEE Myoung-Bak zu erörtern. In der anschliessenden Diskussion kann anhand eines Austausches beispielsweise über die weiter anhaltenden Kerzenproteste, die in Kritik stehenden Verordnungen im öffentlichen Medienbereich oder der Todesfälle bei der Zwangsumsiedlung von Bewohnern aus einem Gebiet in Yongsan, Seoul die aktuelle politische und wirtschaftliche Problematik in Süd-Korea gemeinsam reflektiert werden.

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Bericht von Song-Schreff Song-Hak
Das Thema der ersten Madang Diskussionsrunde in diesem Jahr war der Demokratisierungsprozess in Süd Korea.
Vor Beginn der Diskussion gab es ein einführendes Referat über den Demokratisierungsprozess in Süd Korea, von der ersten, unter dem United States Military Government in Korea (USMGiK) beschlossenen Verfassung Südkoreas im Juli 1948 und der Regierungszeit RHEE Syng-Man, bis zu den aktuellen Entwicklungen unter Präsident LEE Myung-Bak.
RHEE Syng-Man, der als erster Präsident Südkoreas gewählt worden war, hatte bei den folgenden Wahlen seine Wiederwahl nur noch durch die Verhaftung Oppositioneller und durch mehrere Verfassungsänderungen sichern können. Die Korruption im Lande war eklatant, die Meinungsfreiheit wurde beschnitten und der Regierungsstil RHEE Syng-Mans besaß autoritär diktatorische Züge. Im April 1960 zwangen landesweite Demonstrationen, die als 19. April Revolution in die Geschichte eingingen, RHEE Syng-Man schließlich zum Rücktritt.
Im Mai 1961 führte der General PARK Chung-Hee in einem Militärputsch an, der die kurze Phase demokratischer Hoffnung unter der schwachen Regierung YUN Bo-Seon beendete. 1963 ließ sich PARK zum Präsidenten ausrufen. Wesentliche demokratische Rechte wie Meinungs-, Demonstrations-, Organisations- und Pressefreiheit wurden unterbunden, Oppositionelle wurden gefoltert und ermordet, Südkorea war faktisch eine Militärdiktatur. Wiewohl ohne Zweifel ein Diktator, wurde PARK nicht nur im Ausland, sondern auch im eigenen Land nicht nur als ein solcher wahrgenommen, denn in der Phase der Militärdiktatur unter PARK wandelt sich Südkorea andererseits von einem Entwicklungsland zu einem exportorientierten Industriestaat, nahm der Wohlstand und das Bildungsniveau für breite Bevölkerungsschichten insgesamt zu. Park Chung-Hee wurde, insbesondere auch im Ausland, als pragmatischer und effektiver Wirtschaftspolitiker durchaus geschätzt.
Nach zwei gescheiterten Attentaten in den Jahren 1968 und 1975 wurde PARK 1979 vom eigenen Geheimdienstchef KIM Chae-Kyu erschossen.
Der Versuch, nach der Ermordung PARKs einen zivilen Präsidenten einzusetzen, wurde bereits nach wenigen Tagen durch einen erneuten Militärputsch unter General CHUN Doo-Hwan brutal unterbunden. In der Folge wurde das Land von Massendemonstrationen für Demokratie und Freiheit bestimmt. Das Militär ging gegen diese Massendemonstrationen besonders hart vor, sichtbares Zeichen war die brutale Niederschlagung der Protestbewegung in Gwangju im Mai 1980.
Trotzdem wurden die Forderungen nach Demokratie immer lauter und es kam weiterhin zu Demonstrationen und zunehmend zu Streiks. Die gesellschaftliche Unruhe war jedoch so groß, dass sich CHUN Doo-Hwan strategisch gezwungen sah, gewisse Liberalisierungsmaßnahmen einzuführen und die Durchführung eines friedlichen Machtwechsels am Ende seiner Amtszeit anzukündigen. Anschließend gewährte CHUN ungewöhnlich viele Amnestien und im Februar 1984 wurde das Verbot politischer Aktivität für einige Oppositionelle aufgehoben.
Als CHUN aber dann doch den Ex-General ROH Tae-Woo zu seinem Nachfolger ernannte, spitze sich die Stimmung im Lande dramatisch zu, da sich die Bevölkerung von CHUN Doo-Hwan getäuscht fühlte und in der Erklärung eine Verlängerung der Militärherrschaft sah. Das ganze Land geriet in eine bis dahin unbekannte Protestwelle, die als „Juni-Aufstand“ 1987 in die Geschichte einging.
In der Folge geriet die Regierung CHUN Doo-Hwan durch die monatelangen heftigen Proteste der Bevölkerung und auch durch Kritik seitens der USA und des Olympischen Komitees, das sich mit Boykott-Bewegungen zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul konfrontiert sah, unter großem Druck.
Am 29. Juni 1987 gab der designierte Präsident ROH Tae-Woo bekannt, auf die Forderungen der Opposition eingehen zu wollen und stellte, als 29. Juni Deklaration bekannt, ein Programm zur Demokratisierung Südkoreas vor. Dadurch war eine direkte Wahl des Präsidenten erstmals möglich, die einen Wendepunkt in dem Demokratisierungsprozess darstellt. So wurde der Präsident im November 1987 zum ersten Mal seit 1961 wieder direkt durch die Bevölkerung gewählt und seine Amtszeit auf 5 Jahre verkürzt. Die beiden Oppositionsführer KIM Young-Sam und KIM Dae-Jung konnten sich jedoch nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen und kandidierten gegeneinander. Weil die Opposition damit gespalten war, genügten ROH Tae-Woo 37 % der Stimmen, um die Wahl zu gewinnen.
Während der Amtszeit ROH Tae-Woos machte die Demokratie in Südkorea deutliche Fortschritte, es wurden viele Reformen beschlossen. 1988 war Südkorea Gastgeber der Olympischen Sommerspiele. Südkorea nahm mit ehemaligen Ostblockstaaten diplomatische Beziehungen auf. Zusammen mit Nordkorea trat das Land 1991 den Vereinten Nationen bei und am 13. Dezember 1991 schlossen Nord- und Südkorea einen Nichtangriffspakt.
Im Weiteren beschäftigte sich das Referat mit dem Regierungsprogramm von KIM Young Sam.
Weil seine Partei mit der ROH Tae-Woos ein konservatives Bündnis gründete, konnte sich KIM Young-Sam bei der Wahl im Jahr 1992 gegen KIM Dae-Jung durchsetzen. Er war vom 25. Februar 1993 bis 25. Februar 1998 Präsident Südkoreas und seit 1961 der erste Präsident, der nicht aus dem Militär kam. Ein Schwerpunkt war seine Anti-Autoritätspolitik, der Kampf gegen die Korruption, die Aufklärung staatlichen Fehlverhaltens und die Reform der großen und politisch einflussreichen Mischkonzerne (Jaebeol), an der er scheiterte. In seiner Amtszeit wurden die ehemaligen Präsidenten CHUN Doo-Hwan und ROH Tae-Woo wegen des Staatsstreichs und des Gwangju-Massakers im Jahr 1980 vor Gericht gestellt und verurteilt, CHUN in erster Instanz sogar zum Tode. Beide wurden jedoch nur kurze Zeit später begnadigt.
Gegen Ende des Referats wurde auf die aktuelle politische Situation eingegangen.
Im Dezember 2007 entlud sich die Unzufriedenheit der Menschen mit der Politik während der Amtsperioden der eher liberalen Präsidenten KIM Dae-Jung und ROH Moo-Hyun und ihrer Verunsicherung über die politischen Entwicklungen in einem fast erdrutschartigen politischen Machtwechsel und schwemmte LEE Myung-Bak auf den Präsidentenstuhl. Dieser rechtskonservative Machtwechsel ist zwar erst einmal Ausdruck einer funktionierenden Demokratie, die von solchen Machtwechseln lebt, und doch ließen bereits einige Aussagen des Präsidentschaftskandidaten hinsichtlich seiner Haltung zu Nordkorea, zu den Gewerkschaften und linken Gruppierungen im Land, seine Fixierung auf die Interessen der Unternehmer und des Kapitals und seine uneingeschränkt mit den USA sympathisierende Haltung eine durchaus gravierende Veränderung in der südkoreanischen Innen- und Außenpolitik erwarten.
Am 10. Juni 2008 beteiligten sich landesweit eine Million Menschen an Demonstrationen gegen den erst ein halbes Jahr vorher mit fast 50 Prozent der Stimmen ins Amt gewählten Präsidenten LEE Myung-Bak und forderten seinen Rücktritt. Dies geschah nur etwas über 100 Tage nach LEE Myung-Baks Amtsantritt, der die Wahl gewonnen hatte als erfolgreicher Wirtschaftsführer, als Macher, der mit seiner Vision 747 (sieben Prozent Wachstum, 40.000 $ Prokopfeinkommen und Platz sieben der weltweiten Wirtschaftsnationen) das Land nach angeblich neun verschenkten Jahren liberaler Politik zu neuen Ufern führen wollte. Hatte nach seinem Amtsantritt noch weit über die Hälfte der Koreaner die Politik LEE Myung-Bak unterstützt, sank diese Zustimmung in nur vier Monaten auf unter 20 Prozent. Wesentlicher Anlass für die Proteste war die Bereitschaft LEE´s, die seit 2003 geltende Importbeschränkung für Rindfleisch aus den USA aufzuheben.
Schon in den Jahren zuvor hatte eine breite Diskussion über die Sicherheit amerikanischen Rindfleischs und die Wiederzulassung von Importen getobt, denn wegen der unzureichenden amerikanischen veterinärmedizinischen Kontrollen in Hinblick auf BSE und der unzureichenden Hygienestandards Schlachthöfe wurden hier erhebliche Gesundheitsrisiken befürchtet. In diesem Zusammenhang war der damals regierende Präsident ROG Moo-Hyun von den Konservativen über Wochen massiv angegriffen worden, weil er den Fleischimport von Rindern unter 30 Monaten unter Ausschluss von Knochen und möglicherweise gesundheitsgefährdendem Körpergewebe bei entsprechender Zertifizierung zulassen wollte.
Als Lee Myung-Bak seine Blankovollmacht zum unkontrollierten Fleischimport gab, wurde die Erinnerung an die Angriffe gegen die vorige Regierung gleich wieder wach, und was nun folgte, wird allgemein als Kerzenprotest bezeichnet. Anfang Mai, wenige Tagen nach Beginn der Proteste, wurde zu einer ersten Kerzen-Veranstaltung in Seoul aufgerufen und es fanden sich mehrere Tausend Demonstranten ein. Die meisten waren Schüler und deren Mütter. In den folgenden Tagen nahm die Zahl der Teilnehmer an Demonstrationen rapide zu. Die Proteste hatten keine klare Führungsstruktur, die Bewegung blieb ein lockerer Verband von sich selbst über das Internet mobilisierender Gruppen und es ging Anfangs nur um BSE, im weiteren jedoch immer stärker auch um eine generell als fehlerhaft empfundene Politik der neuen Regierung. Die Reaktionen der Staatsmacht auf die Demonstrationen wiederum sprachen die deutliche Sprache der Repression. Massive Polizeiaufgebote und harte Polizeieinsätze folgten und der Einsatz der sogenannter „anti-riot“ Spezialeinheiten zeigte deutlich, wie sehr der Regierung die Entwicklung entglitten war. Die Polizeiübergriffe und das Vorgehen der Spezialeinheiten wiederum wurden gefilmt und umgehend ins Internet gestellt. Dies schürte den Zorn der Bevölkerung und weckte die Erinnerung an die bürgerkriegsähnliche Situation in Südkorea im Juni 1987.
In der Anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass der Demokratisierungsprozess durch die konservative Regierung unter Druck gerät. So sieht Präsident LEE im Internet ein Werkzeug der Desinformation und fordert strengere Kontrollen, so dass sich heute in einem weiteren asiatischen Land nach China einschneidende Sanktionen im freien Umgang mit dem Internet abzeichnen. Die südkoreanische Regierung plant nun eine strengere Kontrolle von Web-Inhalten. Diejenigen, die eine Meinung ins Internet stellen wollen, sind dazu verpflichtet, sich durch ihre Einwohnermeldenummer zu identifizieren. Auch wurden die Provider von Internetportalen von der Rundfunkkommission aufgefordert, Texte, in denen bestimmte als verleumderisch angesehen Ausdrücke verwendet werden, auszufiltern.
Aktuelle Vorfälle, wie die Festnahme von PARK Dae-Sung wegen eines Internetblocks über die momentane Wirtschaftslage und deren Verbindungen zur LEE Myung-Bak Regierung, zeigen deutlich, dass die Meinungsfreiheit in Südkorea in Gefahr ist. Allerdings wurde auch herausgearbeitet, dass derzeit viele „Demokratien“ versuchen, Kontrolle über das Internet zu erhalten. Es wurde auf den aktuellen Diskurs in Deutschland verwiesen.
Bezogen auf das Handelsabkommen mit den USA wurde deutlich, wie stark noch immer der Einfluss der USA auf die Politik Südkoreas ist und dies seit der ersten Republik Koreas bis zum heutigen Tag. Dass die Regierung, trotz aller Proteste und gegen den Willen der Bevölkerung, weiterhin unzureichend auf BSE kontrolliertes Rindfleisch aus den USA importiert, wird als Rückschritt in der demokratischen Kultur begriffen.
Dennoch ist es schwer, auf die Frage, ob die LEE Myung Bak Regierung eine Gefahr für die Demokratie in Südkorea darstellt eine pauschale Antwort zu finden. Dies umsomehr, als Korea eine andere Kultur als der Westen aufweist, sodass eine genaue Kongruenz zu einem „westlichen“ Demokratieverständnis letztendlich schwer herzustellen ist.
Doch lässt sich eines abschließend ganz sicher sagen: Demokratie ist kein statischer Zustand, sondern ein Prozess, an dem sich das Volk ständig beteiligen muss. So verstanden befindet sich Südkorea noch immer im Prozess der Demokratisierung und es ist lohnend, die Formen der Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozess weiter zu beobachten, da sie sich teilweise unterscheiden von den Abläufen, über die in den „westlichen“ Demokratieverständnis üblicherweise der Willenbildungsprozess zu Stande kommt.

Der Vortrag und die anschließende lebhafte Diskussion, an der sich fast alle Anwesenden beteiligten, nahmen ca. drei Stunden in Anspruch. Über solche Impulsreferate und das Zusammentragen des Wissens der Beteiligten gemeinsam zu lernen, den Horizont aller Beteiligten zu erweitern, Positionen in Frage zu stellen und Sichtweisen zu verändern, ist nicht einfach und bedarf der Einübung, stellt unserer Ansicht nach jedoch auch für die Zukunft eine gute Möglichkeit dar.

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