Presse, Südkorea

Der tiefe Fall von Frau Park

Skandale, Korruption und verschärfte Repression haben das Image von Südkoreas Präsidentin Park Geun-Hye schwer ramponiert. Von Rainer Werning

»Amtsenthebung!«, »Park Geun-Hye, tritt zurück!« lauten die Parolen der Demonstranten in Südkoreas Metropole Seoul. Massenproteste und Verhaftungen im Zuge eines der größten Korruptionsskandale in der jüngeren Geschichte der Republik Korea (Südkorea) verstärken den Druck auf die 64jährige Präsidentin Park Geun-Hye. Allein am vergangenen Wochenende forderten rund 200.000 Menschen bei klirrender Kälte und mit flackernden Kerzen auf dem ausladenden Gwanghwamun-Platz den Rücktritt von Park. Nur ein martialisches Großaufgebot an Sicherheitskräften vermochte die Demonstranten davon abzuhalten, in Richtung Cheong Wa Dae, dem Blauen Haus und präsidialen Amtssitz, zu marschieren.

Präsidentin Park wird vorgeworfen, ihrer Vertrauten Choi Soon-Sil die Einmischung in die Regierungsarbeit, einschließlich der Mitsprache bei wichtigen Personalentscheidungen, erlaubt und sie in Staatsgeheimnisse eingeweiht zu haben. Choi wird zudem beschuldigt, durch ihre beiden Sportstiftungen umgerechnet über 60 Millionen Euro an Spenden – angeblich für die »Altersvorsorge« der Präsidentin – akquiriert und an der prestigeträchtigen Seouler Ewha Womans University Vergünstigungen für ihre Tochter erwirkt zu haben. Choi wurde am 1. November wegen Betrugsverdachts festgenommen. Laut Berichten südkoreanischer Sender erließ ein Gericht am Sonntag zudem einen Haftbefehl gegen zwei frühere Berater der Präsidentin, die in den Skandal um Parks Freundin verwickelt sein sollen.

Dermaßen aufgeheizt ist die politische Stimmung im Lande und so tief die Verbitterung über den Regierungsstil der Präsidentin, dass sich Park in der vergangenen Woche zweimal gezwungen sah, öffentlich für begangene »Fehler und Versäumnisse« um Entschuldigung zu bitten. Sie werde bei der Aufklärung aller gegen sie gerichteten Vorwürfe eng mit der Staatsanwaltschaft kooperieren, erklärte die schwer angeschlagene Politikerin. Um schnellstmöglich Schadensbegrenzung zu betreiben, besetzte Park zudem die Posten des Regierungschefs sowie des Finanzministers neu und suchte den Dialog mit den Oppositionsparteien. Diese lehnten die Annäherungen jedoch brüsk ab. Selbst in den eigenen Reihen – in der stramm rechtskonservativen Regierungspartei Saenuri (Neue Welt) – wird mittlerweile der Ruf laut, Park solle die Partei verlassen. Nach den letzten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup Korea genießt die Präsidentin nur noch fünf Prozent Zustimmung. Das ist der niedrigste Wert unter allen Präsidenten der seit 1948 bestehenden Republik Korea.

Parks Unbeliebtheit ist nicht nur ein Ergebnis des aktuellen Politskandals. Denn trotz aller Versprechungen, Südkorea auf neue Wege zu führen und ein entspanntes Verhältnis zum nördlichen Nachbarn anzustreben, hat Park von Anfang an auf eine autokratische Herrschaft im Sinne ihres Vaters hingearbeitet (siehe Spalte). Abgesichert wurde diese Politik vom Geheimdienst NIS (National Intelligence Service), der politisch missliebige Personen unter Anwendung des berüchtigten Nationalen Sicherheitsgesetzes (NSG) drangsaliert und wegsperrt.

Als sich im Mai 2013 rund 130 Mitglieder und Sympathisanten der Vereinigten Progressiven Partei (UPP) zu einer friedenspolitischen Veranstaltung in einer katholischen Kirche in Seoul trafen, ahnte wohl keiner von ihnen, dass auch der Geheimdienst anwesend war. Die UPP hatte stets den Dialog und die Aussöhnung mit dem Norden gesucht. Ein Audiomitschnitt, der durch einen V-Mann angefertigt und nachweislich an zig Stellen manipuliert worden war, diente dem Gericht später als »Beweis einer subversiven Verschwörung«. Der UPP-Abgeordnete Lee Seok-Ki wurde daraufhin zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Am 19. Dezember 2014 wurde die UPP durch einen historischen Entscheid des Verfassungsgerichts aufgelöst. Die Prinzipien und Aktivitäten der Partei seien mit der demokratischen Grundordnung Südkoreas unvereinbar, hieß es in der Begründung. Die UPP verfolge insgeheim das Ziel, in Südkorea einen Sozialismus nach nordkoreanischem Vorbild einzuführen. Die fünf Abgeordneten der Partei verloren mit sofortiger Wirkung ihren Status als Parlamentsmitglieder. Es war das erste Parteiverbot in Südkorea seit 1958.

Währenddessen kippte die Stimmung in der Öffentlichkeit. In den Jahren 2014 und 2015 kam es wiederholt zu Großkundgebungen gegen die Regierung, zu denen Gewerkschaften, Arbeiter-, Bauern- und Lehrerverbände sowie zivilgesellschaftliche Vereinigungen aufgerufen hatten. Im Zentrum der Proteste stand dabei die Kritik an der zunehmend unternehmerfreundlichen Politik, am US-südkoreanischen Militäroperationsplan (Oplan) 5015, der eine Präventivschlagstrategie gegen Nordkorea vorsieht, am Freihandelsabkommen mit China sowie an der autoritär verfügten Entscheidung, die Geschichtsbücher für den Mittel- und Oberstufenunterricht im Sinne der Familiengeschichte Parks umzuschreiben. Zu landesweiten Protesten kam es zudem, als im April 2014 die Fähre Sewol sank und mehr als 300 Menschen in den Tod riss. Die meisten Opfer waren Schüler. Der Kapitän der Fähre wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er das Schiff verlassen hatte, ohne zuvor eine Evakuierung angeordnet zu haben. Laut Ermittlungsberichten waren jedoch auch Korruption und Inkompetenz bei den Behörden und der Reederei für die Katastrophe verantwortlich. Große Teile der Bevölkerung kritisierten das Krisenmanagement der Präsidentin und warfen ihr mangelnde Anteilnahme gegenüber den Hinterbliebenen vor.

Die Regierung reagiert auf Proteste oftmals mit Härte. Insbesondere Kundgebungen des militanten Gewerkschaftsdachverbandes KCTU werden regelmäßig mit einem martialischen Großaufgebot begleitet. Die rund 700.000 Mitglieder zählende Organisation sieht sich in der Tradition der Arbeiterkämpfe gegen die Militärdiktatur von Park Chung-Hee, dem Vater der Präsidentin, der von 1961 bis 1979 in Südkorea regierte. Einen Höhepunkt erreichten die Repressionsmaßnahmen der Regierung während einer Massenkundgebung am 14. November 2015, an der sich rund 130.000 Menschen beteiligten. Dabei wurde der 69jährige Sozialaktivist und Landwirt Baek Nam-Gi von Wasserwerfen getroffen. Am 25. September 2016 starb er an den Spätfolgen der Verletzungen. Trotz der wachsenden Widerstände will sich Präsidentin Park indes an der Macht halten. Ihre reguläre Amtszeit endet im Februar 2018.

Dieser Beitrag von Rainer Werning erschien zuerst auf Junge Welt am 11. November 2016.

Presseschau

Weitere Beiträge zu den Vorfällen in Südkorea in den deutschsprachigen Medien:

Berichte in den südkoreanischen Medien zu den Demonstrationen gegen Park Geun-Hye weltweit, insbesondere auch in Berlin:

Das Titelbild zeigt die Demonstration gegen Park Geun-Hye, fotografiert von Dong-Ha Choe.