Ende März 2015 erschien das neue Korea Forum 2014. Unter dem Titel »Löcher im Eiserenen Vorhang« werden insbesondere die gesellschaftlichen Veränderungen in Nordkorea durch Grenzgänger und Geflüchtete behandelt.
Wir berichten von der »Charity« Bäckerei von Pfarrer Rhee Gi-Ho in Nordkorea, Anne-Katrein Becker erinnert sich an ihre Zeit als DDR-Journalistin in Nordkorea und Hwang Sok-Yong beleuchtet die Geschehnisse des Sewol-Fährunglücks. Mit Bildern von Sunmu und Fotografien von Nils Clauss.
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Editorial
Der Titel »Löcher im Eiserenen Vorhang« entstand während eines Gesprächs im Frühjahr 2014 im taz Café in Berlin, bei dem die in Deutschland promovierte Soziologin Prof. Yi Hee-Young dem Moderator und Asienredakteur Sven Hansen die gegenwärtige Situation in Nordkorea beschrieb.
Prof. Yi arbeitet seit 2004 mit nordkoreanischen Flüchtlingen, die in Südkorea leben, und kennt Details, die selten thematisiert werden. In diesem Zusammenhang möchten wir Ihnen ein besonders eindrückliches Bild nicht vorenthalten, das Prof. Yi gerne heranzieht, um diese Situation zu veranschaulichen: Es ist eine typische Szene aus einem nordkoreanischen Wohnzimmer. Bis vor einigen Jahren pflegten dort die Porträts von Kim Il-Sung und Kim Jong-Il zu hängen, während im darunter stehenden Fernseher nordkoreanische Programme liefen. An dieser Konstellation hat sich vermeintlich nicht viel verändert, noch immer hängen die Porträts des »Ewigen Präsidenten« und seines Sohnes an der Wand, noch immer steht der Fernseher darunter. Allerdings werden heute häufig (wenn auch heimlich) südkoreanische Seifenopern statt der nordkoreanischen Programme geschaut. Ein kleines »Loch im Eisernen Vorhang«, unscheinbar und doch präsent…
Prof. Yi macht in ihrem Artikel darauf aufmerksam, dass Nordkorea keineswegs isoliert und von der restlichen Welt entkoppelt ist – zumindest nicht, was den Konsum von Massemedien angeht. Ganz im Gegenteil! Im Zuge der letzten Jahre hat sich ein florierender Schwarzmarkt in Nordkorea entwickelt, der sowohl die arbeitende Bevölkerung als auch die politische Elite mit TV-Serien und massenmarkttauglicher Pop-Musik aus Südkorea versorgt. Dies bedeutet auch, dass die nordkoreanische Gesellschaft weniger homogen erscheint, als uns dies in den westlichen Medien vermittelt wird. Prof. Yi zeigt in ihrem Beitrag Individuen, deren Biographien keinesfalls dem gängigen Klischee des gleichgeschalteten Arbeiters in Nordkorea entsprechen. Gesellschaftliche Veränderungen beginnen im Kleinen und werden vom Einzelnen getragen – dies trifft auch auf die nordkoreanische Gesellschaft zu.
Auf der anderen Seite des Vorhangs hat mit dem Verbot der progressiven Fortschritts-Partei UPP eine traurige Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, die an die Zeit der Militärdiktaturen in den 1970er und 1980er Jahre erinnert, so dass einige Beobachter gar von einem »Ende der Demokratie« in Südkorea sprechen. Nicht zuletzt das Sewol-Fährunglück, dessen Ursache bis heute nicht aufgeklärt wurde, zeigt, dass auch die südkoreanische Gesellschaft mit Problemen zu kämpfen hat, auf die der Schriftsteller Hwang Sok-Yong aufmerksam macht. Sein Beitrag lässt sich dabei als eine bissige Abrechnung mit dem südkoreanischen Gesellschaftssystem lesen, wobei es ihm insbesondere um eine Kritik am politischen Neoliberalismus geht. Dieser habe sich, so Hwang, in alle gesellschaftsrelevanten Bereiche der südkoreanischen Kultur eingenistet und diese von innen heraus sabotiert.
Mit der Sewol-Katastrophe beschäftigt sich auch die Künstlerin Yang Hyeri, die mit ihrer Bilderstrecke »17 Sekunden« gegen das Vergessen der Opfer des Unglücks kämpft. Zudem gibt es in dieser Ausgabe auch wieder ein biographisches Zeitzeugnis einer ehemaligen Nordkorea-Reisenden (diesmal die Journalistin Anne-Katrein Becker), die von ihren Erlebnissen und Erfahrungen in Nordkorea berichtet und uns damit interessante Einblicke in die nordkoreanische Gesellschaft vor 1989 gewährt. Außerdem: Neues zu Kunst und Kultur, u.a. in Form der farbenfrohen wie auch zynischen Bilder des Künstlers Sunmu sowie die Rezension unseres Redaktionsmitglieds Kai Köhler zur koreanischen Kolonialliteratur der 1930er Jahre.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und in diesem Sinne viel Spaß mit der neuen Ausgabe!