Ein Jahr nachdem Park Geun Hye zur ersten Präsidentin Südkoreas gewählt worden ist, steht die Tochter des früheren Militärdiktators Park Chung Hee wegen ihrer Politik zunehmend unter Druck. Mehr als 100 000 DemonstrantInnen haben am 28. Dezember in Seoul gegen ihre gewerkschafts- und demokratiefeindliche Politik protestiert und ihren Rücktritt gefordert. Zur landesweiten Kundgebung hatten verschiedene Gewerkschaften sowie diverse gesellschaftliche und religiöse Organisationen aufgerufen. Einer der Auslöser der Manifestation war die rigide Vorgehensweise der Präsidentin gegenüber der EisenbahnerInnengewerkschaft KRWU. Diese hatte Anfang Dezember zum Streik aufgerufen, weil sie die Privatisierung der Bahn befürchtet. Anlass war das Vorhaben der Regierung, den Betrieb einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke nicht direkt der staatlichen Eisenbahngesellschaft Korail, sondern einer neuen Tochtergesellschaft der Korail zu überlassen. Kurz zuvor war durch eine Rede der Präsidentin beim Staatsbesuch in Frankreich bekannt geworden, dass Südkorea einen erweiterten Status beim Übereinkommen der Welthandelsorganisation zum öffentlichen Beschaffungswesen anstrebt. Ausländische Konzerne sollen künftig noch stärker bei öffentlichen Aufträgen mitbieten können. Die Gewerkschaft wertet dies als Vorstufe für ein gross angelegtes Privatisierungsvorhaben der Regierung.
Zertrümmerte Türen und Fenster
Gleich am ersten Streiktag wurde gegen die mehr als 7000 streikenden EisenbahnerInnen die Kündigung ausgesprochen und einige Gewerkschafter inhaftiert. Die Regierung mobilisierte am 22. Dezember 4000 Polizisten für die Inhaftierung weiterer Gewerkschafter. Dabei wurde das Hauptquartier des gewerkschaftlichen Dachverbands KCTU umzingelt und gestürmt. Uniformierte drangen ohne Durchsuchungsbefehl in die Büroräume des KCTU ein. Türen und Fenster wurden dabei mit Äxten zertrümmert. Die Gesuchten konnten aber entkommen. Der Streik sei illegal, argumentierten die Regierung und die Geschäftsführung der staatlichen Bahngesellschaft Korail, denn eine Privatisierung sei nicht geplant. Amnesty International und der Internationale Bund Freier Gewerkschaften haben gegen die gewerkschaftsfeindliche Haltung der südkoreanischen Regierung scharf protestiert. Der Streik wurde schliesslich Ende des Jahres mithilfe von Abgeordneten der regierenden Saenuri-Partei und der Opposition beendet; die Entlassenen wurden wieder eingestellt. Ein Schlichtungsgespräch mit der KRWU-Führung endete mit dem Versprechen der PolitikerInnen, einen parlamentarischen Unterausschuss für die Entwicklung der Eisenbahnindustrie zu bilden. Der soll eine mögliche Bahnprivatisierung verhindern. Viele sehen den Streikabbruch als Niederlage, da die Strafverfolgung von etlichen GewerkschafterInnen andauert. Ausserdem haben die Streikenden mit hohen Schadensersatzforderungen zu rechnen. Es wäre nicht das erste Mal: Ende November verurteilte ein Gericht GewerkschafterInnen, die 2009 beim Automobilhersteller Ssang Yong Motors die Arbeit niedergelegt hatten, zu einer Geldstrafe von rund 3,5 Millionen Franken. Das Gericht befand den Streik für illegal.
Gefälschte Tweets
Die Präsidentin steht nicht nur wegen ihres aggressiven Vorgehens gegen die EisenbahnerInnen in der Kritik. Schon während ihres Präsidentschaftswahlkampfs war durch Whistleblower aus dem südkoreanischen Nachrichtendienst NIS bekannt geworden, dass der NIS systematisch illegale Wahlkampfhilfe für Park Geun Hye betrieb. Diesen Skandal versuchten laut der zuständigen Staatsanwaltschaft der NIS und der damalige Polizeipräsident zu vertuschen. Laut ihr hatte die NIS-Abteilung «Psychologische Strategie» über Tausende von Scheinaccounts rund 22 Millionen gefälschte elektronische Kurzmitteilungen verschickt, um Stimmung für Park Geun Hye zu machen und den Oppositionskandidaten politisch wie persönlich zu diffamieren. Auch die Cybereinheit des Verteidigungsministeriums wird verdächtigt, systematisch illegalen Wahlkampf für die heutige Präsidentin betrieben zu haben. Aus diesem Grund finden seit einem Jahr immer wieder landesweite Demonstrationen gegen die Präsidentin statt. Die TeilnehmerInnen fordern dabei die lückenlose Aufklärung des Wahlskandals, den Rücktritt der Präsidentin und Neuwahlen. Viele sehen die südkoreanische Demokratie in Gefahr. Scharf kritisiert wird auch die geschichtliche Revision in einem vom Bildungsministerium neu zugelassenen Schulgeschichtsbuch, in dem der Militärputsch des Vaters der Präsidentin von 1961 als notwendig bezeichnet und legitimiert wird. Am Silvesternachmittag übergoss sich ein vierzigjähriger Mann in Seoul mit Benzin und zündete sich aus Protest an. Laut AugenzeugInnen waren seine letzten Worte: «Park Geun Hye muss zurücktreten.»
Kritik aus den eigenen Reihen
Die Präsidentin behauptet derweil, sie habe weder von der Geheimdienstkampagne gewusst noch bei den Wahlen davon profitiert. Die regierungsfreundlichen Sender verschweigen indes dezent die seit rund einem Jahr andauernden Demonstrationen. Die Regierung reichte derweil beim Verfassungsgericht einen Antrag ein, die linksgerichtete Progressive Einheitspartei zu verbieten, und gegen deren Parlamentsabgeordneten Lee Seok Ki wurde ein Strafverfahren wegen Verstoß gegen das Nationale Sicherheitsgesetzes eingeleitet. Er und die Partei werden beschuldigt, die Interessen Nordkoreas zu vertreten und somit die nationale Sicherheit des Landes zu gefährden. Das Nationale Sicherheitsgesetz hat schon Park Geun Hyes Vater benutzt, um DissidentInnen mundtot zu machen. Inzwischen wird die Präsidentin sogar schon aus den eigenen Reihen kritisiert. Jeong Mong Ju, ein Abgeordneter der Regierungspartei, rügte kürzlich offen ihren autoritären Stil. Und sein Parteikollege Lee Jae Oh twitterte vor einigen Tagen: «Ich weiss im Moment nicht, in welche Richtung sich die Demokratie unseres Landes bewegt.» WOZ Nr. 02/2014 vom 09.01.2014