Bericht, Interview

In Südkorea wirkt eine kollektive Selbsthypnose

Südkoreas Nationales Sicherheitsgesetz resultiert aus Kolonialherrschaft, Militärdiktatur und CIA-Machenschaften. Ein Gespräch mit Song Du-Yul, Professor für Soziologie an der Universität Münster. Er setzt sich für eine Verständigung und Annäherung zwischen Nord- und Südkorea ein.

Im Unterschied zu anderen asiatischen Staaten gibt es in Südkorea keine aktualisierte Sicherheitsgesetzgebung. Woran liegt das?
»Kommunisten« sind für die Südkoreaner ein Begriff, »Islamisten« dagegen nicht. Anders als in Indonesien, den Philippinen, Singapur oder Malaysia hat es deshalb keine gesetzgeberische Aktion in diese Richtung gegeben.

Das Nationale Sicherheitsgesetz (NSG) Südkoreas ist bereits 60 Jahre alt. Womit haben wir es da zu tun?
Das NSG ist ein Amalgam aus Elementen der japanischen Kolonialherrschaft, der militärischen Alltagssozialisation unter der Diktatur und der gegen die Kommunisten gerichteten Methoden der CIA. Laut Verfassung hat einzig und allein Südkorea die staatliche Souveränität über die gesamte koreanische Halbinsel inne. Nordkorea gilt als antistaatliche Organisation. Schon als ich das Gelände der Botschaft Nordkoreas betrat, um ein Visum zu beantragen, verstieß ich nach dem Territorialprinzip der Staatsgründung gegen das südkoreanische Gesetz.

2004 sind Sie in Südkorea festgenommen worden und auf der Grundlage des NSG zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die nach internationalen Protesten in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurde. Gibt es neue Entwicklungen in Ihrem Verfahren?

Ja. 2004 befand das Gericht, ich hätte mich allein durch meine Nordkoreareisen, egal ob mit südkoreanischem oder deutschem Paß, strafbar gemacht. Am 17. April 2008 hat nun das Oberste Gericht entschieden, meine Nordkorea-Reise mit deutschem Paß sei kein Gegenstand der Strafverfolgung, meine Reise mit dem südkoreanischen Paß dagegen schon. Immerhin haben von 13 Obersten Richtern vier ein Minderheitsvotum abgegeben, wonach auch meine Reise mit dem südkoreanischen Paß nicht strafbar gewesen sei, weil ich sie von dem Drittstaat Deutschland und nicht von Südkorea aus unternahm.

Südkorea ist eine parlamentarische Demokratie mit einer liberalen Regierung. Warum schafft die das Gesetz nicht ab?
Drei Generationen von Südkoreanern wurden unter dem NSG erzogen. Sie denken, ohne das Gesetz wäre ihr Land verloren. Seit 1948 wirkt die kollektive Selbsthypnose von Kindesbeinen an. Die Menschen denken, es ginge ausschließlich um Spione. Dabei untergräbt das Gesetz die demokratischen Regeln.

Sie haben vor Ihrer Verhaftung regelmäßig Treffen von Intellektuellen aus Nord- und Südkorea organisiert. Führen Sie das heute fort?
Zunächst mußte ich mich erholen. Infolge meiner Haft in der ungeheizten, nur drei Quadratmeter großen Zelle hat sich mein Asthma verstärkt. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch wie vorher. Wenn man politisch kämpft, verletzt man sich selbst. Für die Heilung muß man sich Zeit nehmen. Ich überlege, was ich heute machen kann. Ich bin kein Politiker, sondern ein Wissenschaftler im Ausland. Trotzdem will ich, wenn nächstes Jahr mein Ruhestand beginnt, in einem zweiten Anlauf versuchen, die abgebrochene Kommunikation auf beiden Seiten zu reaktivieren.

Was ist Ihr Resümee der Tagung »Sicherheit kontra Menschenrechte« in Berlin?
Die ganze Terrorismusbekämpfung ist mehr oder weniger eine Fortsetzung der Geschichte der alten Kolonialzeit. Erst wurden die Kommunisten bekämpft, heute die Islamisten. Im Unterschied zu Singapur, Malaysia, Indonesien und den Philippinen hat Südkorea keine Islamisten, daher geht es immer noch gegen die Kommunisten.

Thomas Wagner, Tageszeitung junge Welt, 03.06.2008, Seite 3