Was sich am 12. März in der südkoreanischen Nationalversammlung abspielte, war eine veritable politische Posse inklusive faustfester Randale. In einer tumultartigen Abstimmung votierten mehr als zwei Drittel der Abgeordneten für die Amtsenthebung von Präsident Roh Moo-Hyun. Ihm wird vorgeworfen, gegen das Wahlgesetz verstoßen, illegale Spendengelder genommen und mit einem inkompetenten Stab von Beratern regiert zu haben. Kommissarisch amtiert nun Ministerpräsident Goh Kun, bis das Verfassungsgericht innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden hat, ob die Vorwürfe gegen Roh gerechtfertigt sind – erst dann wäre sein politisches Aus besiegelt.
Diese Amtsenthebung offenbart einige Paradoxien koreanischer Politik. Da ist zunächst der Beschuldigte selbst. Roh war der große Hoffnungsträger während der Präsidentschaftswahl Ende 2002. Die Intellektuellen, Nichtregierungsorganisationen und vor allem die Jugend stimmten für ihn. Schließlich war Roh kein machtbesessener Politiker, er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und hatte sich als engagierter Gewerkschaftsanwalt einen Namen gemacht. Er war und blieb ein Mann der Aussöhnung mit Nordkorea, der es riskierte, gegenüber Washington den Wunsch nach einer unabhängigen Außenpolitik zu bekunden. Was Roh nicht daran hinderte, gegen den Willen einer Mehrheit seiner Anhänger südkoreanische Soldaten in den Irak zu schicken.
Aber in Südkorea sind politische Parteien noch immer eher Seilschaften mächtiger Politiker als alles andere. Gewählt wurde Roh als Protegé seines Vorgängers, des Friedensnobelpreisträgers Kim Dae-Jung, und mit dem Mandat von dessen Millennium Democratic Party (MDP), die jetzt im Parlament gegen ihn stimmte. Roh hatte der MDP den Rücken gekehrt und aus seinen Sympathien für die kleinere Uri-Partei, die viel Rückhalt in der Bevölkerung genießt, kein Hehl gemacht. Nur wird ihm dieser Gruppierung wenig helfen können, wenn am 15. April Parlamentswahlen stattfinden, bei denen die größte Oppositionspartei, die erzkonservative Grand National Party (GNP), hofft, der Coup gegen Roh werde sich zu ihren Gunsten auszahlen.
Eine weitere Paradoxie: Je inbrünstiger die Unabhängigkeit von Politik beschworen wird, um so gigantischer sind die Summen, mit denen in Südkorea die Willfährigkeit von Parteien gegenüber den Machtzentren im Big Business garantiert wird. Da attackiert die GNP Roh, er habe während des Wahlkampfs im Dezember 2002 umgerechnet 14 Millionen Dollar an illegalen Spenden eingetrieben, während die GNP über 100 Millionen an solchen Geldern einstrich. Ist Roh schuldig, dann sind es alle anderen führenden Politiker in Seoul auch.
Angesichts enormer politischer und wirtschaftlicher Probleme, mit denen sich das Land konfrontiert sieht, ist eine in ihrer Handlungsfähigkeit gelähmte Regierung gewiss das Letzte, was des Volkes Wille ist.
Von Rainer Werning in Freitag – Die Ost-West-Wochenzeitung 13, 19.März 2004; (Pyrrhus-)Sieg der Hardliner?